Wer feiert heut' kein Schtzenfest? 11FREUNDE
Lukas Podolski, Mitchell Weiser, Florian Wirtz oder Yannick Gerhardt: Die Liste von einstigen FC-Spielern, die woanders ihr Glück fanden und zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Karriere gegen den FC trafen, ist lang.
Und so wäre es wenig verwunderlich gewesen, wenn ich auch am 8. Spieltag der aktuellen Bundesliga-Saison mit einem mulmigen Gefühl den Weg nach Müngersdorf angetreten hätte. Mit Salih Özcan kam wieder ein Eigengewächs zurück nach Köln, mit Anthony Modeste der Torjäger und Publikumsliebling der vergangenen Saison. Und glaubt man daran, dass sich Geschichte wiederholt, dann wäre ein Dortmunder Sieg, inklusive Modeste-Tor, nur die logische Konsequenz gewesen.
„Heute zeigen wir es denen!“
Doch am 1. Oktober 2022 haben meine Kumpels und ich ein anderes Gefühl, ein weitaus euphorischeres, als wir uns auf unseren 30-minütigen Bierspaziergang zum Stadion aufmachen. Unser Vertrauen in die Mannschaft und den Trainer, aus den Abgängen zweier prägender Figuren der so unerwartet erfolgreichen Vorsaison, eine ungeheure Motivation und Willenskraft zu ziehen, ist groß. Wir sind uns sicher: „Heute zeigen wir es denen!“
Schon die ganze Woche gibt es kein anderes Thema in der Stadt. Die Emotionen, die die Wechsel von Özcan und insbesondere Modeste auslösen, reichen von Verständnis bis hin zu tiefer Abneigung und Hass. Und so gehen auch meine Kumpels und ich mit einer emotionalen Anspannung zum Spiel, die wir sonst nur von Derbys gegen Borussia Mönchengladbach kennen. Eigentlich verrückt, so sind die Spiele gegen den BVB auf Grund von Beziehungen innerhalb der aktiven Fanszenen der beiden Klubs in letzter Zeit doch eher von freundschaftlichem Charakter geprägt.

„Unser Wohnzimmer! Unser Stadion!“
Doch an diesem Nachmittag in Müngersdorf ist alles anders. Wir stehen schon weit vor Anpfiff auf unseren Plätzen in der Südkurve und bekommen so mit, wie das Stadion schon beim Warm-Up der beiden Teams brodelt. So verwundert es kaum, dass Steffen Baumgart nicht viel sagen muss, um seine Mannschaft zu motivieren, was die Saisondokumentation „24÷7 FC“ belegt: „Zwei Jungs von denen sind letztes Jahr mit uns einen guten Weg gegangen. Die haben uns verlassen! Unser Wohnzimmer! Unser Stadion!“
Zur Halbzeit steht es 0:1. Julian Brandt bringt den BVB sehenswert in Führung, dem FC fehlt vor dem Tor noch die nötige Ruhe. Anthony Modeste wird bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, auch wenn es nicht viele sind. Schnell merkt man, dass die beiden Innenverteidiger Timo Hübers und Luca Kilian auf ihrer ganz eigenen Mission sind: Hier und heute trifft Modeste nicht! Nachdem wir in der Halbzeitpause eine akute Unterhopfung verhindern können, kommen wir mit Anpfiff der zweiten Halbzeit zur Pausenanalyse: „Wir drehen das Ding!“.

Comeback-Könige vom Geißbockheim
Denn wenn die Mannschaft unter der Leitung von Steffen Baumgart etwas schon häufig genug bewiesen hat, dann dass sie Rückstände umbiegen kann. So sind wir wenig überrascht, dass unsere Mannschaft nach Wiederanpfiff mit einer unglaublichen Intensität auf das Dortmunder Tor stürmt. Immer wieder rollen die Angriffe auf den Kasten vor der Südkurve zu. In der 53. Minute ist es dann Jonas Hector, der im linken Halbfeld erst an Julian Brandt und Thomas Meunier vorbei geht und anschließend einen perfekten Pass in den Lauf von Linton Maina spielt. Dessen Rückgabe von der Grundlinie knallt Florian Kainz ins Tor, dahinter droht die Südkurve, zum ersten Mal an diesem Nachmittag von der Last einer springenden Menschenmasse erdrückt zu werden.
Als wir gerade dabei sind, das Tor zu analysieren und festzustellen, dass es ein „typisches FC-Tor“ ist, rollt vor unseren Augen der nächste Angriff. Ecke. Tor. Schon wieder drin! Steffen Tigges köpft in Modeste-Manier ein. Ich versinke in einer Jubeltraube, umarme fremde Menschen und bin auf der Suche nach meinen Leuten. Ist das gerade wirklich passiert? Innerhalb von drei Minuten haben wir das Spiel gedreht. Als wir unsere Gruppe wieder halbwegs beisammen haben und Stadionsprecher Michael Trippel den Torschützen verkündet, ist die Stimmung im Stadion endgültig auf dem Gipfel. „Torschütze ist mit der Nummer 21 Steffeeeen“ „Tiiiiiggeeeeees“ schallt es durch Müngersdorf, in einer Lautstärke, wie man sie selbst als Dauerkarten-Inhaber selten erlebt. Modeste steht zeitgleich bedröppelt am Mittelkreis. Eine Genugtuung für jede gekränkte kölsche Fanseele.

Wendung der Geschichte
Dejan Ljubicic macht sogar noch das 3:1, ehe Benno Schmitz eine Flanke unhaltbar ins eigene Tor abfälscht. Daraufhin folgen die Zitter-Minuten, die jeder Fußball-Fan nur zu gut kennt. Auch wenn der BVB nicht viele Chancen hat, ist es ein ständiges Bangen. Modeste oder ein anderer Dortmunder könnten ja doch noch treffen. Als Modeste dann bei seiner einzigen richtigen Torchance in unmittelbarer Tornähe an den Ball kommt, dessen Schuss aber von dem ehemaligen Dortmunder Luca Kilian geblockt wird, jubelt nicht nur der Innenverteidiger so als ob er gerade ein Tor geschossen hätte.
Denn in diesem Moment wird wohl nicht nur Kilian klar, dass sich diese endlose Geschichte mit den ehemaligen FC-Spielern in diesem Spiel ändern wird. Das Schicksal dreht sich. Heute trifft kein Modeste, auch kein Salih Özcan. Heute trifft Steffen Tigges. Der Mann, den wir aus der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund geholt haben, und der bis zu diesem Spiel noch kein einziges Liga-Tor für den FC gemacht hat. „Ausgerechnet Tigges!“, sage ich zu meinen Kumpels. Ungläubig schütteln wir nach Abpfiff den Kopf und lachen über die Ironie des Schicksals. Dabei haben wir es doch eigentlich schon auf dem Spaziergang zum Stadion gewusst.
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