Wir ehren einen anstndigen Menschen" 11FREUNDE
Am Montagabend erhielt Christian Streich in Berlin vom DFB den Ehrenpreis Julius-Hirsch-Ehrenpreis. Der Preis wird seit 2005 verliehen und ist benannt nach dem deutsch-jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch, der im Frühjahr 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Die Jury hatte sich für den 58-Jährigen entschieden, „weil er immer wieder zu politischen und gesellschaftlichen Fragen, auch und unbedingt wenn es schwierig wird, klar wie auch empathisch Stellung bezieht. Streich gilt als eine starke Stimme gegen den Rechtsruck und ein Kritiker des punktuell überhitzten Bundesliga-Geschäftes.“ Die Laudatio auf den Freiburger Trainer hielt Schauspieler und Schriftsteller Matthias Brandt. Hier gibt es die Rede im O‑Ton.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Familie Hirsch,
liebe Preisträger,
lieber Christian,
mein Vater, der sich damit ganz gut auskannte, hat mir mal zu folgender Version geraten, falls ich eine publikumsfreundliche Rede halten wolle: „Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.“ Aber ich muss Sie enttäuschen, ich fürchte, die Variante bekomme ich bei diesem Preisträger nicht hin. Mir fiel die Geschichte allerdings wieder ein, als ich an den Anlass hier und vor allem an den Auszuzeichnenden dachte. Weil es wahrscheinlich eine Lobrede nach Christians Geschmack wäre.
Als ich gefragt wurde, ob ich heute und hier die Laudatio für den Ehrenpreisträger Christian Streich halten wolle, habe ich spontan und voller Freude zugesagt. Christian und ich haben uns vor einiger Zeit auf eine Weise kennengelernt, die mich daran erinnerte, wie es in der Kindheit als Spieler gewesen war. Als man sich gewissermaßen mit den Füßen begegnete und mithilfe des Balls einen Dialog begann. Wir nun waren in Freiburg für ein Podiumsgespräch mit Christoph Biermann verabredet gewesen. Uns blieb davor nicht viel Zeit, um uns zu verständigen. Das war aber, wie sich gleich zeigte, auch nicht nötig. Es genügte ein Blick, um die Absicht des Anderen zu erkennen, ihn zu hören und wahrzunehmen. Wir spielten uns die Bälle zu, das geht ja weiß Gott nicht mit jedem. Und ich erinnere mich, wie ich dachte: Sieh mal an, die kleinen Spieler wie ich spielen Doppelpass und die großen Spieler wie er auch. Und das Glück der einen ist so gut wie das Glück der anderen.

Ich hoffte nun bei meiner Zusage zu laudieren, dass diese Auszeichnung gewissermaßen selbsterklärend und deswegen auch leicht zu begründen sei. Aber das stimmt nicht. Denn das Offensichtliche ist meist schwerer zu beschreiben als man meint.
Erlauben Sie mir, beim Nachdenken über Christian Streich zunächst ein paar Parallelen zu meiner künstlerischen Arbeit zu ziehen:
Große Trainer und große Regisseure sind solche, die es schaffen, ein Ensemble zusammenzustellen, das jede Einzelne und jeden Einzelnen besser macht, als sie oder er es ohne die Gruppe wären. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein Theaterstück macht, einen Film dreht, oder ein Fußballteam formt. Und im besten Fall lernen alle Beteiligten daraus sogar was fürs restliche Leben. Es gilt immer nur daran zu arbeiten, dass eins und eins in der Summe mehr ergeben als zwei.
„Er ist einer der besten Regisseure, denen ich je begegnet bin“
Und – auch ganz wichtig – gute Fußballerinnen und Fußballer müssen merken, dass sie als solche gesehen und erkannt werden, sonst verkümmern sie, gute Schauspielerinnen und Schauspieler übrigens auch. Bei aller Robustheit, die es natürlich ebenfalls braucht: Talent ist eine zerbrechliche Ware.
Mir fällt kaum jemand ein, der so gut hinschauen, erkennen und das Erkannte dann beschreiben kann wie Christian Streich. Er ist ein großer Fußballtrainer, ein Pädagoge und Entwickler vor allem, ein Förderer mit einer ungebrochenen Neugier auf andere Menschen. Wenn er meint, genügend Wissen angesammelt zu haben, setzt er sich und uns dazu ins Verhältnis. Um in meiner Welt zu bleiben: Er ist einer der besten Regisseure, denen ich je begegnet bin.
Ein Meister des Beobachtens
Es geht in unseren Berufen immer um den Austausch, die Verbindung. Um die Verbindung mit den Spielern, den anderen Trainern. Die Verbindung mit den Worten des Autors, mit dem Regisseur, den Mitspielern, dem Publikum, kurz: die Verbindung mit dem Spiel. Denn das Spiel ist groß, größer als wir.
Christian Streich bei der Arbeit zuzuschauen verdeutlicht einem, dass er ein Trainer dieses Ranges vielleicht nur deswegen sein kann, weil er auch ein Meister des Beobachtens ist. „Acting is reacting“ heißt es in meinem Metier.
Nun gibt es ja einerseits die kühle und andererseits die teilnehmende Beobachtung. Der Hofmaler Conti aus Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“, der die schöne Emilia gemalt hat, sagt beim Anblick seines Bildes: „Ach, könnte man doch mit den Augen malen!“ Der Künstler bei Lessing findet also: Die Fertigkeit, etwas Großes oder Schönes zustande zu bringen und aufs Papier zu werfen, ist sekundär. Viel wichtiger ist die Gabe, das Schöne und Große in seiner Gänze zu erkennen. Auf den Fußball übertragen hieße das: Kann es sein, dass derjenige Mensch, der den Fußball gedanklich durchdringt, vielleicht sogar der bessere, größere Fußballkünstler ist als der, der zufällig über eine perfekte Ballbehandlung verfügt und toll Fußball spielt? Für alle Unbegabten (wie mich) wäre das ein attraktiver und tröstlicher Gedanke. Aber er ist natürlich Quatsch.
„Christian scheint mir bei aller vorhandenen Strenge immer auch ein Bewunderer zu sein“
Christian Streich war selbst ein sehr guter Fußballspieler und erklärt jetzt den tollsten Fußballern das Spiel. Aber es ist bei ihm nicht so wie bei manchen anderen Trainern, bei denen man das Gefühl hat, sie haben gar kein so großes Interesse an der Persönlichkeit ihrer Spielerinnen und Spieler, wie sie eigentlich müssten und sollten, sondern sie behandeln sie eher als Erfüllungsgehilfen für ihre Theorie. Ziemlich misanthropisch eigentlich. Und ich glaube auch nicht, dass das auf Dauer erfolgreich sein kann. Jedenfalls nicht, solange das Spiel noch von Menschen gespielt wird.
Christian scheint mir bei aller vorhandenen Strenge immer auch ein Bewunderer zu sein. Ja, es wirkt, als sei es tatsächlich seine größte Freude zuzusehen, wie etwas aufgeht. Ich meine damit nicht irgendeinen taktischen Kniff, sondern die Hoffnung, die Geduld, die Kraft und die Beharrlichkeit, die man in die Entwicklung eines jungen Menschen gesteckt hat, der dann auf einmal über seine bisherigen Grenzen hinausgeht, diese verschiebt und erweitert.
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