Wir ehren einen anstndigen Menschen" 11FREUNDE

Publish date: 2024-10-26

Am Mon­tag­abend erhielt Chris­tian Streich in Berlin vom DFB den Ehren­preis Julius-Hirsch-Ehren­preis. Der Preis wird seit 2005 ver­liehen und ist benannt nach dem deutsch-jüdi­schen Natio­nal­spieler Julius Hirsch, der im Früh­jahr 1943 in Ausch­witz ermordet wurde. Die Jury hatte sich für den 58-Jäh­rigen ent­schieden, weil er immer wieder zu poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Fragen, auch und unbe­dingt wenn es schwierig wird, klar wie auch empa­thisch Stel­lung bezieht. Streich gilt als eine starke Stimme gegen den Rechts­ruck und ein Kri­tiker des punk­tuell über­hitzten Bun­des­liga-Geschäftes.“ Die Lau­datio auf den Frei­burger Trainer hielt Schau­spieler und Schrift­steller Mat­thias Brandt. Hier gibt es die Rede im O‑Ton.

Meine sehr ver­ehrten Damen und Herren, 
liebe Familie Hirsch,
liebe Preis­träger,
lieber Chris­tian,

mein Vater, der sich damit ganz gut aus­kannte, hat mir mal zu fol­gender Ver­sion geraten, falls ich eine publi­kums­freund­liche Rede halten wolle: Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.“ Aber ich muss Sie ent­täu­schen, ich fürchte, die Vari­ante bekomme ich bei diesem Preis­träger nicht hin. Mir fiel die Geschichte aller­dings wieder ein, als ich an den Anlass hier und vor allem an den Aus­zu­zeich­nenden dachte. Weil es wahr­schein­lich eine Lob­rede nach Chris­tians Geschmack wäre.

Als ich gefragt wurde, ob ich heute und hier die Lau­datio für den Ehren­preis­träger Chris­tian Streich halten wolle, habe ich spontan und voller Freude zuge­sagt. Chris­tian und ich haben uns vor einiger Zeit auf eine Weise ken­nen­ge­lernt, die mich daran erin­nerte, wie es in der Kind­heit als Spieler gewesen war. Als man sich gewis­ser­maßen mit den Füßen begeg­nete und mit­hilfe des Balls einen Dialog begann. Wir nun waren in Frei­burg für ein Podi­ums­ge­spräch mit Chris­toph Bier­mann ver­ab­redet gewesen. Uns blieb davor nicht viel Zeit, um uns zu ver­stän­digen. Das war aber, wie sich gleich zeigte, auch nicht nötig. Es genügte ein Blick, um die Absicht des Anderen zu erkennen, ihn zu hören und wahr­zu­nehmen. Wir spielten uns die Bälle zu, das geht ja weiß Gott nicht mit jedem. Und ich erin­nere mich, wie ich dachte: Sieh mal an, die kleinen Spieler wie ich spielen Dop­pel­pass und die großen Spieler wie er auch. Und das Glück der einen ist so gut wie das Glück der anderen.

Ich hoffte nun bei meiner Zusage zu lau­dieren, dass diese Aus­zeich­nung gewis­ser­maßen selbst­er­klä­rend und des­wegen auch leicht zu begründen sei. Aber das stimmt nicht. Denn das Offen­sicht­liche ist meist schwerer zu beschreiben als man meint.
Erlauben Sie mir, beim Nach­denken über Chris­tian Streich zunächst ein paar Par­al­lelen zu meiner künst­le­ri­schen Arbeit zu ziehen:

Große Trainer und große Regis­seure sind solche, die es schaffen, ein Ensemble zusam­men­zu­stellen, das jede Ein­zelne und jeden Ein­zelnen besser macht, als sie oder er es ohne die Gruppe wären. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein Thea­ter­stück macht, einen Film dreht, oder ein Fuß­ball­team formt. Und im besten Fall lernen alle Betei­ligten daraus sogar was fürs rest­liche Leben. Es gilt immer nur daran zu arbeiten, dass eins und eins in der Summe mehr ergeben als zwei.

Er ist einer der besten Regis­seure, denen ich je begegnet bin“

Und – auch ganz wichtig – gute Fuß­bal­le­rinnen und Fuß­baller müssen merken, dass sie als solche gesehen und erkannt werden, sonst ver­küm­mern sie, gute Schau­spie­le­rinnen und Schau­spieler übri­gens auch. Bei aller Robust­heit, die es natür­lich eben­falls braucht: Talent ist eine zer­brech­liche Ware.

Mir fällt kaum jemand ein, der so gut hin­schauen, erkennen und das Erkannte dann beschreiben kann wie Chris­tian Streich. Er ist ein großer Fuß­ball­trainer, ein Päd­agoge und Ent­wickler vor allem, ein För­derer mit einer unge­bro­chenen Neu­gier auf andere Men­schen. Wenn er meint, genü­gend Wissen ange­sam­melt zu haben, setzt er sich und uns dazu ins Ver­hältnis. Um in meiner Welt zu bleiben: Er ist einer der besten Regis­seure, denen ich je begegnet bin. 

Ein Meister des Beob­ach­tens

Es geht in unseren Berufen immer um den Aus­tausch, die Ver­bin­dung. Um die Ver­bin­dung mit den Spie­lern, den anderen Trai­nern. Die Ver­bin­dung mit den Worten des Autors, mit dem Regis­seur, den Mit­spie­lern, dem Publikum, kurz: die Ver­bin­dung mit dem Spiel. Denn das Spiel ist groß, größer als wir.

Chris­tian Streich bei der Arbeit zuzu­schauen ver­deut­licht einem, dass er ein Trainer dieses Ranges viel­leicht nur des­wegen sein kann, weil er auch ein Meister des Beob­ach­tens ist. Acting is reac­ting“ heißt es in meinem Metier.

Nun gibt es ja einer­seits die kühle und ande­rer­seits die teil­neh­mende Beob­ach­tung. Der Hof­maler Conti aus Les­sings Trau­er­spiel Emilia Galotti“, der die schöne Emilia gemalt hat, sagt beim Anblick seines Bildes: Ach, könnte man doch mit den Augen malen!“ Der Künstler bei Les­sing findet also: Die Fer­tig­keit, etwas Großes oder Schönes zustande zu bringen und aufs Papier zu werfen, ist sekundär. Viel wich­tiger ist die Gabe, das Schöne und Große in seiner Gänze zu erkennen. Auf den Fuß­ball über­tragen hieße das: Kann es sein, dass der­je­nige Mensch, der den Fuß­ball gedank­lich durch­dringt, viel­leicht sogar der bes­sere, grö­ßere Fuß­ball­künstler ist als der, der zufällig über eine per­fekte Ball­be­hand­lung ver­fügt und toll Fuß­ball spielt? Für alle Unbe­gabten (wie mich) wäre das ein attrak­tiver und tröst­li­cher Gedanke. Aber er ist natür­lich Quatsch.

Chris­tian scheint mir bei aller vor­han­denen Strenge immer auch ein Bewun­derer zu sein“

Chris­tian Streich war selbst ein sehr guter Fuß­ball­spieler und erklärt jetzt den tollsten Fuß­bal­lern das Spiel. Aber es ist bei ihm nicht so wie bei man­chen anderen Trai­nern, bei denen man das Gefühl hat, sie haben gar kein so großes Inter­esse an der Per­sön­lich­keit ihrer Spie­le­rinnen und Spieler, wie sie eigent­lich müssten und sollten, son­dern sie behan­deln sie eher als Erfül­lungs­ge­hilfen für ihre Theorie. Ziem­lich mis­an­thro­pisch eigent­lich. Und ich glaube auch nicht, dass das auf Dauer erfolg­reich sein kann. Jeden­falls nicht, solange das Spiel noch von Men­schen gespielt wird.

Chris­tian scheint mir bei aller vor­han­denen Strenge immer auch ein Bewun­derer zu sein. Ja, es wirkt, als sei es tat­säch­lich seine größte Freude zuzu­sehen, wie etwas auf­geht. Ich meine damit nicht irgend­einen tak­ti­schen Kniff, son­dern die Hoff­nung, die Geduld, die Kraft und die Beharr­lich­keit, die man in die Ent­wick­lung eines jungen Men­schen gesteckt hat, der dann auf einmal über seine bis­he­rigen Grenzen hin­aus­geht, diese ver­schiebt und erwei­tert.

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWejqb%2BmtcKhZJuqkaOxtXnLmqydmaSevHCFlGxvbXBk