Triumph ber die Gleichgltigkeit 11FREUNDE

Publish date: 2024-12-15

Lion Lau­ber­bach sorgt in der 59. Minute für Schmerzen in der Süd­kurve, damals, im April 2022. Nach einem langen Abschlag von Tor­hüter Jasmin Fejzic reagiert er schnell und voll­streckt zum 2:0 für Ein­tracht Braun­schweig im Spiel gegen Tabel­len­führer Mag­de­burg. In der Kurve hinter dem zit­ternden Netz kra­chen Ell­bogen auf­ein­ander, Hände fallen um Hälse und Stimm­bänder testen ihre Belas­tungs­grenzen aus. Auch ich schreie wie am Spieß, doch nehme das akus­tisch über­haupt nicht wahr. Der Geräusch­pegel der Süd­kurve schluckt alles.

Es ist wieder einer dieser Momente, in denen das Dach des Ein­tracht-Sta­dions durch den Lärm abzu­heben scheint. End­lich wieder wie vor den Corona-Jahren. Ein Moment, in dem die ganze Kurve in Wal­lung gerät und trotzdem in Ein­tracht ver­schmilzt. Die Emo­ti­ons­ex­plo­sion eines Tor­ju­bels. Der kurze Moment, in dem es keinen anderen Gedanken gibt als den einen, den ich raus­schreie: JAAAAAAAAAAAAAAAA!“

Dieser Ausruf ist auch die Ant­wort auf die Frage ob der Fuß­ball nach Corona jemals wieder so sein wird wie vorher. Er ist auch die Ant­wort auf die Frage, ob die irra­tio­nale Liebe zu diesem Verein, den wir für das, was er uns in all den Jahren antat, eigent­lich hassen müssten, jemals wieder so innig werden würde.

Grenz­erfah­rung Ein­tracht-Fan

Ich habe 2022 mein 20. Sta­dion-Jubi­läum im Ein­tracht-Sta­dion an der Ham­burger Straße gefeiert. Ich durfte bzw. musste trotz dieser relativ kurzen Zeit­spanne bereits elf Auf- und Abstiege mit­er­leben. Ich war dabei, als ein gewisser Bruno Lab­badia durch seinen Treffer die Sorgen im Abstiegs­kampf ver­schärfte, erlebte den Bun­des­liga-Auf­stieg in Ingol­stadt genauso wie bedeu­tungs­lose Spiele in Burg­hausen und Emden und zwei Last-Minute-Ret­tungen vor dem Sturz in die Viert­klas­sig­keit. 

Obwohl ich in der Grund­schule bereits begriff, dass Kosta Rodriuges und Torsten Süm­nich wohl nie­mals Kan­di­daten für den Ballon d´Or werden würden, war Ein­tracht für mich das Aller­größte. Mich fas­zi­nierte die Ham­burger Straße und ich war immer stolz auf das bemer­kens­werte Ver­hältnis von ver­lo­renen Punkten zur Anzahl der Fans im Sta­dion. Auf die beson­dere Stim­mung. Und die stän­digen Grenz­erfah­rungen. Und auch eine gewisse Por­tion an Gal­gen­humor hat mir der BTSV schon damals ver­ordnet. Anders waren die Nie­der­lagen gegen Cottbus II auch nicht zu ertragen.

Auf­stieg nach schwie­rigem Sai­son­start

Gal­gen­humor war auch das beste Mittel zu Beginn der Auf­stiegs­saison 2021/22. Das erste Heim­spiel nach dem Abstieg war eigent­lich als Ver­söh­nung mit dem eigenen Anhang geplant. Ein­tracht verlor 0:4. Gegen Auf­steiger Vik­toria Berlin. Das Ver­hältnis zwi­schen Mann­schaft und Fans galt lange als schwierig. Die aktive Fan­szene blieb wegen der Corona-Maß­nahmen fern. Das Spiel gegen Mag­de­burg war erst das zweite Heim­spiel nach der Rück­kehr der Ultras. Mit ihrer Rück­kehr war auch der Umzug des Stim­mungs­zen­trums in die Kur­ven­mitte ver­bunden, was unter Ein­tracht-Fans für hit­zige Dis­kus­sionen gesorgt hatte. Auch Que­relen um die Abwahl von Ex-Prä­si­dent Chris­toph Brat­mann und den anschlie­ßenden Wahl­kampf um seine Nach­folge hatten für viel Dis­sens gesorgt. Im Moment des 2:0 von Lion Lau­ber­bach schien alles ver­gessen. Erfolg ist schließ­lich der beste Weg zur Ver­söh­nung. Es herrschte eine Stim­mung wie es sie an der Ham­burger Straße schon lange nicht mehr gab.

Die Lie­ber­knecht-Jahre, die aus unserem Cha­os­verein einen Leucht­turm für Kon­ti­nuität machten und uns eine über­re­gional beach­tete Iden­tität ver­liehen, hatten auch für gestei­gerte Erwar­tungs­hal­tung gesorgt. Nach dem Bun­des­liga-Auf­stieg setzte zuneh­mend eine Sät­ti­gung auf den Tri­bünen ein. 2. Bun­des­liga galt auf einmal als selbst­ver­ständ­lich. Ekstase musste von der Mann­schaft erst erar­beitet werden. Ich erin­nere mich an Spiele, als mir der Tempel” nicht mehr als das Nord­deut­sche Pen­dant zum La Bom­bonera vorkam, son­dern eher der Geräusch­ku­lisse des Braun­schweiger Haupt­bahn­hofs glich. Nach der Zäsur des Abstiegs von 2018 und dem anschlie­ßenden Pen­deln zwi­schen den Ligen machte ich mir große Sorgen, dass der Verein schlei­chend nie­der­gehen könnte. Viel­leicht ist auch des­halb der Auf­stieg vom Mai 2022 viel wich­tiger, als er auf den ersten Blick erscheinen mag.

Wie ich es bei der Ein­tracht gewohnt bin, gerät auch an diesem 29. April das Errun­gene nochmal in Gefahr. Mag­de­burg ist zwar schon durch, will sich aber keine Blöße geben. Nur zwei Minuten nach Lion Lau­ber­bachs 2:0 gelingt dem FCM der Anschluss. Wenig später fällt der Aus­gleich. Drei Spieler bleiben am Boden liegen. Wurde Fejzic gefoult? Kicker​.de und ein Wett­an­bieter ver­melden den Aus­gleich bereits als Tat­sache. Schieds­richter Daniel Sie­bert berät sich noch minu­ten­lang mit seinen Assis­tenten. So wirk­lich weiß kaum ein Zuschauer, was nun Sache ist. Dann gibt es Frei­stoß für Ein­tracht. Frei­stoß statt Anstoß. Nochmal Schmerzen in der Kurve. Wenig später ist Schluss. Ein­tracht hat den Auf­stieg in der eigenen Hand, zieht an Kai­sers­lau­tern vorbei. Beim Bier danach sind wir alle beglänzt. Die beste Stim­mung seit Jahren. End­lich wieder mal ein rich­tiges Ein­tracht-Gefühl.

Sofa-Auf­stieg

Der tat­säch­liche Auf­stieg fühlte sich dann weit weniger emo­tional an. Eine Woche später stehe ich in Meppen und sehe zu, wie Ein­tracht den Match­ball am vor­letzten Spieltag ver­gibt. Als ich mich am Tag danach inner­lich mal wieder auf einen Show­down am letzten Spieltag vor­be­reite, blicke ich ungläubig auf mein Handy und sehe, dass Kon­kur­rent Kai­sers­lau­tern bei Vik­toria Köln zurück­liegt und tat­säch­lich ver­liert. Ein­tracht ist aus durch. Ein Auf­stieg auf dem Sofa. Die Partie gegen Mag­de­burg bleibt als emo­tio­naler Auf­stieg mehr in Erin­ne­rung.

Für Emo­tionen wird der BTSV auch im kom­menden Jahr sorgen. Ob sie die große Hoff­nung erfüllt, erst­mals seit 2016 bereits vor dem letzten Spieltag die Gewiss­heit zu haben, in der Fol­ge­saison in der­selben Liga zu spielen, bleibt frag­lich.

Aber die Ein­tracht hat an diesem Tag mal wieder bewiesen, dass sie die emo­tio­nale Hals­schlag­ader der Region bleibt und so schreien es über 20.000 Kehlen in den Flut­licht­schimmer: Ein­tracht ist mein Verein, und er wird’s immer sein!“

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