Triumph ber die Gleichgltigkeit 11FREUNDE
Lion Lauberbach sorgt in der 59. Minute für Schmerzen in der Südkurve, damals, im April 2022. Nach einem langen Abschlag von Torhüter Jasmin Fejzic reagiert er schnell und vollstreckt zum 2:0 für Eintracht Braunschweig im Spiel gegen Tabellenführer Magdeburg. In der Kurve hinter dem zitternden Netz krachen Ellbogen aufeinander, Hände fallen um Hälse und Stimmbänder testen ihre Belastungsgrenzen aus. Auch ich schreie wie am Spieß, doch nehme das akustisch überhaupt nicht wahr. Der Geräuschpegel der Südkurve schluckt alles.
Es ist wieder einer dieser Momente, in denen das Dach des Eintracht-Stadions durch den Lärm abzuheben scheint. Endlich wieder wie vor den Corona-Jahren. Ein Moment, in dem die ganze Kurve in Wallung gerät und trotzdem in Eintracht verschmilzt. Die Emotionsexplosion eines Torjubels. Der kurze Moment, in dem es keinen anderen Gedanken gibt als den einen, den ich rausschreie: „JAAAAAAAAAAAAAAAA!“
Dieser Ausruf ist auch die Antwort auf die Frage ob der Fußball nach Corona jemals wieder so sein wird wie vorher. Er ist auch die Antwort auf die Frage, ob die irrationale Liebe zu diesem Verein, den wir für das, was er uns in all den Jahren antat, eigentlich hassen müssten, jemals wieder so innig werden würde.
Grenzerfahrung Eintracht-Fan
Ich habe 2022 mein 20. Stadion-Jubiläum im Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße gefeiert. Ich durfte bzw. musste trotz dieser relativ kurzen Zeitspanne bereits elf Auf- und Abstiege miterleben. Ich war dabei, als ein gewisser Bruno Labbadia durch seinen Treffer die Sorgen im Abstiegskampf verschärfte, erlebte den Bundesliga-Aufstieg in Ingolstadt genauso wie bedeutungslose Spiele in Burghausen und Emden und zwei Last-Minute-Rettungen vor dem Sturz in die Viertklassigkeit.
Obwohl ich in der Grundschule bereits begriff, dass Kosta Rodriuges und Torsten Sümnich wohl niemals Kandidaten für den Ballon d´Or werden würden, war Eintracht für mich das Allergrößte. Mich faszinierte die Hamburger Straße und ich war immer stolz auf das bemerkenswerte Verhältnis von verlorenen Punkten zur Anzahl der Fans im Stadion. Auf die besondere Stimmung. Und die ständigen Grenzerfahrungen. Und auch eine gewisse Portion an Galgenhumor hat mir der BTSV schon damals verordnet. Anders waren die Niederlagen gegen Cottbus II auch nicht zu ertragen.
Aufstieg nach schwierigem Saisonstart
Galgenhumor war auch das beste Mittel zu Beginn der Aufstiegssaison 2021/22. Das erste Heimspiel nach dem Abstieg war eigentlich als Versöhnung mit dem eigenen Anhang geplant. Eintracht verlor 0:4. Gegen Aufsteiger Viktoria Berlin. Das Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans galt lange als schwierig. Die aktive Fanszene blieb wegen der Corona-Maßnahmen fern. Das Spiel gegen Magdeburg war erst das zweite Heimspiel nach der Rückkehr der Ultras. Mit ihrer Rückkehr war auch der Umzug des Stimmungszentrums in die Kurvenmitte verbunden, was unter Eintracht-Fans für hitzige Diskussionen gesorgt hatte. Auch Querelen um die Abwahl von Ex-Präsident Christoph Bratmann und den anschließenden Wahlkampf um seine Nachfolge hatten für viel Dissens gesorgt. Im Moment des 2:0 von Lion Lauberbach schien alles vergessen. Erfolg ist schließlich der beste Weg zur Versöhnung. Es herrschte eine Stimmung wie es sie an der Hamburger Straße schon lange nicht mehr gab.
Die Lieberknecht-Jahre, die aus unserem Chaosverein einen Leuchtturm für Kontinuität machten und uns eine überregional beachtete Identität verliehen, hatten auch für gesteigerte Erwartungshaltung gesorgt. Nach dem Bundesliga-Aufstieg setzte zunehmend eine Sättigung auf den Tribünen ein. 2. Bundesliga galt auf einmal als selbstverständlich. Ekstase musste von der Mannschaft erst erarbeitet werden. Ich erinnere mich an Spiele, als mir „der Tempel” nicht mehr als das Norddeutsche Pendant zum La Bombonera vorkam, sondern eher der Geräuschkulisse des Braunschweiger Hauptbahnhofs glich. Nach der Zäsur des Abstiegs von 2018 und dem anschließenden Pendeln zwischen den Ligen machte ich mir große Sorgen, dass der Verein schleichend niedergehen könnte. Vielleicht ist auch deshalb der Aufstieg vom Mai 2022 viel wichtiger, als er auf den ersten Blick erscheinen mag.

Wie ich es bei der Eintracht gewohnt bin, gerät auch an diesem 29. April das Errungene nochmal in Gefahr. Magdeburg ist zwar schon durch, will sich aber keine Blöße geben. Nur zwei Minuten nach Lion Lauberbachs 2:0 gelingt dem FCM der Anschluss. Wenig später fällt der Ausgleich. Drei Spieler bleiben am Boden liegen. Wurde Fejzic gefoult? Kicker.de und ein Wettanbieter vermelden den Ausgleich bereits als Tatsache. Schiedsrichter Daniel Siebert berät sich noch minutenlang mit seinen Assistenten. So wirklich weiß kaum ein Zuschauer, was nun Sache ist. Dann gibt es Freistoß für Eintracht. Freistoß statt Anstoß. Nochmal Schmerzen in der Kurve. Wenig später ist Schluss. Eintracht hat den Aufstieg in der eigenen Hand, zieht an Kaiserslautern vorbei. Beim Bier danach sind wir alle beglänzt. Die beste Stimmung seit Jahren. Endlich wieder mal ein richtiges Eintracht-Gefühl.
Sofa-Aufstieg
Der tatsächliche Aufstieg fühlte sich dann weit weniger emotional an. Eine Woche später stehe ich in Meppen und sehe zu, wie Eintracht den Matchball am vorletzten Spieltag vergibt. Als ich mich am Tag danach innerlich mal wieder auf einen Showdown am letzten Spieltag vorbereite, blicke ich ungläubig auf mein Handy und sehe, dass Konkurrent Kaiserslautern bei Viktoria Köln zurückliegt und tatsächlich verliert. Eintracht ist aus durch. Ein Aufstieg auf dem Sofa. Die Partie gegen Magdeburg bleibt als emotionaler Aufstieg mehr in Erinnerung.
Für Emotionen wird der BTSV auch im kommenden Jahr sorgen. Ob sie die große Hoffnung erfüllt, erstmals seit 2016 bereits vor dem letzten Spieltag die Gewissheit zu haben, in der Folgesaison in derselben Liga zu spielen, bleibt fraglich.
Aber die Eintracht hat an diesem Tag mal wieder bewiesen, dass sie die emotionale Halsschlagader der Region bleibt und so schreien es über 20.000 Kehlen in den Flutlichtschimmer: „Eintracht ist mein Verein, und er wird’s immer sein!“
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